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Gemeinschaftsgefühl
Gerald Hüther über „Kommunale Intelligenz“
Mit dem Zerfall familiärer Strukturen gehen mehr und mehr unsere sozialen Fähigkeiten verloren – und zwar unwiederbringlich. Denn, so sagt der Neurobiologe Gerald Hüther, neuronale Schaltungen im Kopf werden nicht mehr ausgeprägt. Er plädiert für mehr kommunale Intelligenz – zum Wohle der Gemeinschaft.
„Gemeinsam sind wir stark“ und „Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen“ – es sind viel zitierte, aber wenig gelebte Sätze. Die Realität unserer Gesellschaft steuert schnurstracks in Richtung Vereinzelung: Singles, Individualisten, Kleinfamilien und Karrierekämpfer. Dieser Trend im Kleinen zeigt sich auch in großen Gemeinschaften und politischen Strukturen. Klamme Kommunen und überschuldete Gemeinden bluten zusehends aus. Vereine, kulturelle und soziale Einrichtungen sterben. Großfamilie war gestern. Lebendiges kommunales Leben vielerorts auch. Bekämpft wird dieses wachsende Problem bisher nur mit einer Überdosis immer gleicher Forderungen: Sparen und Wachstum – ein Teufelskreis.
Manche Gemeinde ist so verzweifelt, dass sie nicht einmal vor riskanten Finanzgeschäften zurückschreckt um ihren Haushalt zu sanieren. So haben sich einige Kommunen faule Papiere von der Großbank JP Morgan andrehen lassen, die ihre Schuldenlast jetzt nur noch vergrößern. Ein Mehr vom alten Denken führt zu mehr Überforderung. Lösungen liefert es nicht. Ein radikales Umdenken fordert jetzt der Hirnforscher Gerald Hüther. Sein Buch „Kommunale Intelligenz“ macht klar: Organisationsstrukturen, die nur auf Geld, Verordnungen und Vorschriften setzen, haben keine Zukunft – weil sie den Einzelnen entmündigen, zum Objekt der Strukturen machen und so den Glauben an gesellschaftliches Engagement vernichten.
Veränderung muss von innen kommen

Die Veränderung hin zu lebendigen Gemeinschaften muss von innen kommen. Sie beginnt im Kopf jedes Einzelnen, so Hüther. Vernetzungen im Gehirn die uns zu kreativen Gestaltern zukünftiger Gesellschaften machen, entstehen durch Vernetzungen in der Gemeinschaft. Lernen funktioniert nur durch eigene Erfahrungen und verschiedene Vorbilder. Je mehr Wissen ein Kind durch Austausch mit anderen sammelt, desto flexibler kann es das später kombinieren, um komplexe Herausforderungen zu lösen. Da, wo es kaum noch Großfamilien gibt, muss eine lebendige Kommune Begegnungsräume schaffen. Für Jung und Alt, Arm und Reich, Single und Kleinfamilie. So entstehen neue, emotionale Beziehungssysteme. Wer durch Emotionen lernt, lernt nachhaltig. Und wer sich mit mehr Eigenverantwortung für eine Gemeinschaft einsetzt an der sein Herz hängt, statt sich auf abstrakte, ineffiziente Verwaltungen zu verlassen, der spart am Ende sogar Ressourcen. Das ist kommunale Intelligenz.

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